Max Prosa: Die Phantasie wird siegen
Ich kann nicht behaupten, im Laufe der Jahre viele Débutalben gekauft zu haben. Irgendwie muss man auf so ein Début ja erst einmal aufmerksam werden. Im Fall von Max Prosa und mir war es Ina Müller, die uns zusammengebracht hat.
Sein Auftritt in Inas Nacht hat mir den Impuls und YouTube den Rest gegeben. Zu schade, dass einige gute Max-Prosa-Videos mittlerweile aus Deutschland auf YouTube nicht mehr erreichbar sind. Ohne YouTube hätte ich weder das Album gekauft, noch die Konzertkarte.
Wie vermutlich jeden anderen auch, hat mich zunächst die Single-Auskopplung Mein Kind begeistert. Das Setting akustische Gitarre, Mundharmonika und nölender Sprechgesang erinnerte an Dylan, lang bevor ich gemerkt habe, dass alle anderen Medien genau das über Prosa schreiben. Allerdings gilt das meiner Meinung nach nur für den Sound und nur oder vor allem für diesen Song. Ein Vergleich mit Dylan verbietet sich für mich sowieso. Das muss noch 50 Jahre warten. Nichtsdestotrotz gefällt mir das Lied. Prosa und Band haben drive, und die Lyrics offenbaren Songschreiberfähigkeiten. Das einzige, was mich stört, ist der Ausdruck „mein Kind“. Ich nehm einem 21jährigen einfach nicht ab, jemanden in dieser Form mit „mein Kind“ anzusprechen; dass er seinen Nachwuchs meint, kann man wohl ausschließen. Ich denke, das „Kind“ ist nur Konsequenz der Reime. „Find – Kind“, „Wind – Kind“ und so weiter. Also doch nicht Prosa, sondern Lyrik.
Die Die Phantasie Wird Siegen war mir Grund genug, zum Konzert zu gehen. Nach dem Débutalbum hab ich also gleich noch die Débuttour mitbekommen. In Hamburg ist Prosa im Übel & Gefährlich aufgetreten. Bereits vor dem Eingang war mir klar, dass ich seit langer Zeit mal wieder zu den älteren Zuhörern gehörte. Zum Club im Hamburger Hochbunker führt ein Aufzug mit Industriecharme. Dichtgedrängt war es unvermeidlich, ein paar Gespräche mitzubekommen. Sie bestätigten den Eindruck des Altersdurchschnitts: Viele Konzertgänger im Alter von Max Prosa. Ein Gespräch drehte sich um die Häufigkeit und die Konsequenzen der Abstürze an einem durchschnittlichen Wochenende. „Wenn ich morgens aufwache fehlt mindestens ein Schuh und das T-Shirt; das ist ungefähr die Quote.“ Andere Anfang-Zwanzigjährige stylen sich mit Vollbärten, die sowohl Che als auch der Generation meines Vaters zur Ehre gereicht hätten; etwas, das ich in diesem Alter aufgrund des notwendigen Unterscheidens von der Elterngeneration abgelehnt habe.
Das Übel & Gefährlich war gut gefüllt. Der „Supporting Act“ hat mich nicht vollkommen begeistert; dem durch Gespräche im Publikum verursachten Geräuschpegel zufolge, gilt das auch für die meisten anderen Zuhörer.
Prosa und Band haben ihr Konzert gleich mit einem Highlight des Albums, Flügel, begonnen; die Stimmung war sofort da. Kein schlechter Anfang für einen Newcomer. Die Platte hat eine Reihe von sehr guten Songs und keine wirklichen Aussetzer. Das kann man vom Konzert nicht behaupten. Einzelne Lieder erinnerten mich eher an instrumentierte Poetry Slams in der Schanze. Texte und Vortragsstil waren hinreichend wirr, um vom Publikum als cool angesehen zu werden. Mir war nicht klar, ob die Zustimmung der Hörer auf tatsächlichem Gefallen beruhte. Die Single Mein Kind haben Prosa und Band in die Zugabe verlegt, was der Gesamtbewertung des Abends sicher zuträglich war. Vermutlich teilte nicht jeder im Publikum meine Einschätzung. Eine Handvoll Zuhörer sind früher gegangen. Damit ist Prosa in guter Gesellschaft; auch beim Dylan-Konzert im November haben sich die Reihen im Publikum früh gelichtet. Dabei dürfte es sich aber um die Mark Knopfler-Fans gehandelt haben, die nach Knopflers Auftritt das Konzert verließen. Sowohl bei Dylan, der in Hamburg ein außerordentlich gutes Konzert abgeliefert hat, als auch bei Prosa für mich eine unverständliche Reaktion. Und wenn ich schon wieder bei dem Dylan-Vergleich bin, den ich eigentlich vermeiden wollte: Das zweite Lied, das ich mir auf Youtube angehört habe, heißt Visionen von Marie. Da liegt es nah, an Dylans Visions of Johanna von Blonde on Blonde zu denken.
Insgesamt finde ich Max Prosas Erstling wirklich gelungen. Auch live ist er mit Band zu empfehlen. Die Instrumentierung ist angenehm abwechslungsreich und das Konzert eine echte Bereicherung des Albums. Sein Songwriter-Stil gefällt mir, hat aber noch sehr viel Potential zu reifen. Angesichts seines Alters kann das aber keine Kritik sein, eher die Hoffnung auf noch bessere zweite, dritte und weitere Alben und Tourneen. Vom Débutalbum werden bei den kommenden Konzerten die drei oder vier besten Lieder übrig bleiben. Wenn er sein Repertoire von Release zu Release ausbaut, gibt er in ein paar Jahren beeindruckende Konzerte. Seine Bemerkung beim Auftritt im Übel & Gefährlich, das sei das bislang größte Konzert, wird nicht lang Bestand haben.