Ida Sand: The Gospel Truth - Albumcover

Ida Sand: The Gospel Truth

Meine Entdeckung des vergangenen Jahres ist Ida Sands Album The Gospel Truth. Ich bin beim Stöbern in der Jazz-Ecke darauf gestoßen. Aufmerksamkeit haben die Cover-Songs erregt, die auf The Gospel Truth zu finden sind. Allen voran John Hiatts Have a little faith hat mich neugierig gemacht. Beim ersten Reinhören an Ort und Stelle wollte ich den Kopfhörer gar nicht mehr abnehmen; eine klar Sache, das Album muss ich haben.

The Gospel Truth ist 2011 bei ACT erschienen, ein Label, das in der Jazz-Szene einen wohlklingenden Namen hat – und einen mehrfach ausgezeichneten darüber hinaus. Dass das Album keine Gospelmusik im hollywoodesken Klischee amerikanischer Südstaatenkirchen enthält, sollte jetzt eigentlicher keiner Erwähnung mehr bedürfen. Vielmehr wandelt Ida Sand mit äußerster Souveränität auf einem schmalen Grat zwischen Soul, Blues, Jazz, Funk und Pop. Produziert haben Nils Landgren und Siggi Loch. Siegfried Loch ist der Gründer von ACT.

Den Anfang des Albums bildet Sands Arrangement des Traditionals Eyes on the Prize; lupenreiner, moderner Soul, vom Bläsersatz bis zu den Harmony Vocals. Weniger eindeutig fällt die Einordnung des zweiten Titels aus. Ihre Interpretation von Bill Withers‘ Ain’t no Sunshine spielt mit den Elementen der einzelnen Stilrichtungen und verschmelzt sie zu einem Sound, der den Hörer in den Bann zieht. Ihre Stimme ist dabei prägender als bei Eyes on the Prize, wo die Instrumente den Klang bestimmen.

He ain’t heavy, he’s my brother ist näher am Pop und weniger überraschend, aber nicht weniger schön. Im Duett mit Raul Midón singt Sand den Klassiker, der erstmals 1970 durch die Aufnahmen der Hollies und von Neil Diamond erfolgreich wurde. Funky wird es mit Stevie Wonders Have a talk with God. Im Wesentlichen bestimmen Drums und Bläser den Sound, Ida Sand legt Ihre Stimme in einem fast schon gesprochenen Gesang darüber; den Hintergrund bildet der Chor, der bereits beim ersten Titel die soulige Note mit bestimmte. Für die Akzentuierung sorgt die Flöte (woodwinds) in zwei Soli von Magnus Lindgren gespielt.

Foreigners Über-Hit I wanna know what love is wurde ungezählte Male gecovert. Wikipedia spricht von der Originalversion als eine Power-Ballade. Die Power nimmt hier eine andere Gestalt an. Leise, zart singt Ida Sand den Song. Dort, wo Lou Gramm mit der Kraft seiner Stimme arbeitet, spielt Sand mit den Tonhöhen. Das Ergebnis kann sich nicht nur im wörtlichen Sinn hören lassen.

Die klanglich größte Nähe zum genannten Gospelklischee erreicht I wish I would know how, im Original von Nina Simone. Bereits beim Klavierintro sieht man die typische Kirchenszene vor seinem geistigen Auge. Links sitzt der Pianist, der Prediger tritt zur Seite, Ida Sand löst sich als einzige weiße Sängerin aus dem 60 köpfigen Chor, bestehend aus stimmgewaltigen, in uniforme Kutten gekleidete Gospeldiven, und sie legt ihre Stimme zunächst allein über das Klavier, bevor der Rest der Band einstimmt und die Gemeinde mit Ekstase zu Tanzen beginnt. Soviel zum imaginären Bild. In der Realität fehlt die Kirche, ein Prediger hat es womöglich bei den Aufnahmen auch nicht gegeben, die Ekstase sei jedem Hörer selbst überlassen, aber vor allem gibt es den Chor in dem Song nicht. Bei jedem Takt wartet man zwar auf seinen Einsatz, doch er bleibt aus. Dem Lied schadet es nicht.

Neben einigen, hier nicht erwähnten Songs hat The Gospel Truth noch zwei Highlights zu bieten, die es mir schwer machen, einen Favoriten zu wählen.

Das eine ist Like a Prayer. Klingt wieder nach Gospel, ist aber im Original Madonna. Ja, es ist wirklich das Like a Prayer mit dem Madonna 1989 in Deutschland, UK und USA wochenlang auf Platz 1 der Charts stand. Auch in dieser Interpretation spielt Ida Sand mit den Stilen. In den ersten Takten souliger Jazz, bekommt der Song im Refrain einige funky Klänge, besitzt im Mittelteil ein Jazz-Sax-Solo bis schließlich zum Ausklang der Background-Gesang den oben noch vermissten Gospelchoreindruck nachliefert; an dieser Stelle dem Original nicht unähnlich.

John Hiatts Have a little faith in me ist eines meiner all time favs. Wenn Wikipedia schon Lou Gramm Power bescheinigt, wie müsste ich Hiatts Performance erst beschreiben? Der Song ist auf dem 1987er Bring the family erschienen, ein Album, das mich wie kaum ein anderes von der ersten Sekunde in seinen Bann gezogen hat – aber das ist eine andere Geschichte.

In seinem ultimativen Liebeslied singt Hiatt seine Bitte Have a little faith in me nicht mehr, er ruft, er schreit sie fast heraus. Mit solcher Kraft, dass nicht vorstellbar ist, dass die Frau, an die sich Hiatt wendet, seine Bitte ablehnen könnte (bei einem Konzert hat John Hiatt das Lied seiner Frau gewidmet). Wie sollte Ida Sand diesen typisch männlichen Liebesbeweis kopieren? Wie sollte sie dem Hörer mit der gleichen Kraft ihr Have a little faith in me entgegenwerfen? Die Antwort ist einfach: Gar nicht.

Rezensionen auf Amazon bezeichnen ihr Album als „seicht“ und sagen über den Song, dass andere Versionen „um Längen besser seien“. Völliger Unsinn. Wer eine Kopie will, soll beim Original bleiben. Es ist und bleibt unerreicht. Damit eine Coverversion eine Existenzberechtigung hat, muss sie etwas Neues einbringen; etwas Eigenes, das der Natur des Songs nicht zuwiderläuft. Und diese schwierige Aufgabe gelingt Ida Sand mit ihrem Have a little faith in me auf vorzügliche Weise.

Der Song ist ruhig, ihr Gesang geradezu zart.Völlig anders als Hiatt. An die Stelle der männlichen, rauhen Kraft seiner Stimme setzt sie eine weibliche Bestimmtheit und wieder einmal die Souveränität, die schon zuvor ihre Interpretationen ausgezeichnet hat. Diese ist eine herausragende, eine gelungene Interpretation, statt einer bloßen Kopie.

Für The Gospel Truth spreche ich eine klare Kaufempfehlung aus. Lässt man das Album im Hintergrund laufen, nimmt es sich soweit zurück, dass es die perfekte Atmosphäre für einen schönen Abend liefert. Wird man ihm gerecht und hört es bewusst, aufmerksam, vielleicht über Kopfhörer offenbart es einen Facettenreichtum, den man in den (Pop-)Charts lange vergeblich suchen kann. Kurz gesagt: Bestnote!

This entry was posted on Freitag, April 6th, 2012 at 16:51 and is filed under Platte. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Both comments and pings are currently closed.

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