Wie entdeckt man gute Musik?
Wenn man viel Musik kauft, entwickelt man ganz automatisch, bewusst oder unbewusst eine Strategie, neue Musik aufzuspüren. Viel (neue) Musik hören ist natürlich mit großem Abstand der beste und wichtigste Ansatz. In Zeiten von Last.fm & Co und Amazons 30-Sekunden-Teasern ist das ziemlich einfach. Auch die Möglichkeit, im Geschäft mal eben den Barcode eines Albums unter einen Scanner zu halten, und innerhalb von Sekunden kann man die Songs über Kopfhörer hören, hat die Gefahr von Fehlkäufen verringert. In den 80ern war das nicht so einfach. Da gabs vielleicht einen Plattenspieler im Geschäft, über den lief für alle Kunden eine Scheibe – das war’s. Natürlich konnte man darum bitten, mal was anderes aufzulegen, aber das war meist mit Wartezeit verbunden. Selbst später, als mehrere Laufwerke samt Kopfhörern für die Kunden zur Verfügung standen.
In der Frühzeit meiner musikalischen Vita, sozusagen auf der sprichwörtlichen „grünen Wiese“ meines Musikgeschmacks haben sich eine Reihe von Trampelpfaden gebildet, von denen einige zielführend waren oder bis heute sind, andere aber in vielen Fällen in eine Sackgasse geführt haben.
Weg 1: Empfehlung von Freunden
Unzweifelhaft eine hervorragender Ansatz. Wenn man als Teenager sowieso die meiste Zeit mit seinen Kumpels rumhängt, kann man massenhaft Musik hören und drüber reden. Wenn – wie in meinem Fall – die Freunde ebenfalls musikfixiert sind, bekommt man nur Musik zu hören, die wirklich wichtig ist – zumindest für denjenigen, der sie empfiehlt. Man bekommt also die Begeisterung gleich mitgeliefert; und die Argumente, warum die Platte so toll ist. Die soziale Anerkennung ist somit gesichert, falls man sich entscheidet, das Album ebenfalls zu kaufen (oder auf Kassette aufzunehmen). Dass damit eine Anerkennung für denjenigen verbunden ist, der die Musik empfohlen hat, stärkt das soziale Gefüge noch zusätzlich. Ergo: Ein guter Weg.
Weg 2: Empfehlungen von Fremden
Hier meine ich nicht Radio und TV, sondern insbesondere den schon thematisierten Plattenkatalog. Wie dort beschrieben, kann das gutgehen; manchmal geht’s aber ins Auge. Ergo: Ein guter Weg mit hohen Risiken.
Weg 3: Nach einer guten Single das Album kaufen
Wie in der Einleitung gesagt, war es früher nicht immer einfach, ein Album, das man im Plattenladen in den Händen hält, vorab auf seine Güte zu prüfen. Die Existenz einer schon bekannten, guten Single sorgte bei mir einige Male dafür, das Album ungehört zu kaufen.
Ich habe sehr wenige Singles gekauft, meist Alben. Den Grund dafür kenne ich nicht. Vielleicht ist es die unbewusste und manchmal naïve Vorstellung, dass nur das Album das vom Künstler geschaffene Gesamtkunstwerk darstellt. Dass Singleauskopplungen ein unter Marketingzwang erpresstes Zugeständnis an die Kurzlebigkeit unserer Medien und die sich ständig zu verringern scheinende Aufmerksamkeitsspanne ihrer Zuhörer ist. Wie sonst wäre die Existenz von Radio Edits zu erklären; für die Ausstrahlung im Radio (meist) gekürzte Fassungen der LP-Version – Ein weiterer Grund für das Album. Vielleicht steckt dahinter aber auch nur der Wunsch, die Zeit der großen Konzeptalben zurückzubekommen.
Ich fürchte, dass die Zeit der Alben und Singles zu Ende geht. Begriffe wie Singleauskopplung könnten angesichts von MP3-Downloads verloren gehen. Wenn der Hörer ein Album beliebig zerfleddern kann, welchen Sinn ergibt es dann noch, Songs zu einer LP zusammenzustellen. Von Konzeptalben ganz zu schweigen. Bei welchem Musiker, bei welcher Band würde die Plattenfirma ein solches Experiment mitmachen? Bestenfalls dann, wenn die einzelnen Stücke trotzdem charttauglich sind. Veröffentlichungen wie Neil Youngs Greendale sind nur Künstlern möglich, die die notwendige Souveränität besitzen. Doch vielleicht kommen in Zukunft aus der Independent-Szene neue Impulse. Vielleicht ein Album, dass es zwar zum Download gibt, aber nur en bloc; also ein einziger Track mit einer Spielzeit von 45 Minuten oder mehr. So wie Genesis auf Seconds out das Maximum aus dem Medium Vinyl herausgeholt hat, indem Supper’s ready eine LP-Seite vollständig füllt – mehr als 20 Minuten Spielzeit.
Zurück zum Thema: Ist es schlau ein Album nur wegen der Single zu kaufen? Meine Erfahrung eher negativ. Häufig genug ein Fehler, dessen in meinem Plattenregal befindliche Konsequenzen zu einer lockeren Folge von weiteren Artikel in diesem Blog führen. Der erste folgt gleich im Anschluss.
Weg 4: Wer spielt mit wem?
Nachdem ich die Musik von Jackson Browne kennengelernt hatte, habe ich in kurzer Zeit alle seine Alben gekauft. Zum damaligen Zeitpunkt waren es nur acht. Doch ich wollte mehr. Also schaute ich mir an, welche Gastmusiker bei ihm mitspielten. Bereits bei den frühen Alben kam eine erstaunliche Liste zusammen. Clarence White von den Byrds, Bonnie Raitt, Don Henley und Glenn Frey von den Eagles, David Lindley, David Paich von Toto, Joni Mitchell, David Crosby von Crosby, Stills and Nash und – unter Pseudonym – Elton John.
Ich überlegte mir, wenn diese Musiker bei Jackson Browne mitspielen, mag ich vielleicht auch deren Musik. Dieser Gedanke hat sich als sehr nützlich erwiesen. Auf dem Weg habe ich eine große Zahl von Musikern, Bands und Alben entdeckt, die mir bis heute wichtig sind. Eine kleine Gefahr gibt es: Die Chance, dass man die Grenzen musikalischer Genres überwindet, ist sehr klein, und folglich ist die Gefahr groß, immer das gleiche Einerlei zu hören. Damit das nicht passiert, sollte man sich gelegentlich auf etwas ganz anderes einlassen.