Divine Madness – Mit einem Dank und „Tschüss“ an Kai
Our House war mein erster Kontakt mit Ska – ohne, dass ich es eigentlich wusste. Für mich war Our House einfach ein Pop-Hit in den 80ern, den ich auf einer meiner ersten Musikkassetten (sic!) hatte. Außerdem lief der Song dauernd im Radio. Die Band hinter dem Song heißt Madness, die es wie keine andere schaffte, Ska und Pop zu vereinen und damit vermutlich die erfolgreichste Ska-Band der zurückliegenden drei Jahrzehnte ist.
Neben dem großen Hit habe ich Madness erst richtig durch zwei Schulfreunde und die größten Madness-Fans weit und breit kennengelernt – Kai und Franco. Heute wird Kai beerdigt. Er ist vor einer Woche mit nicht einmal 43 Jahren gestorben.
Während meiner Schulzeit waren meine Freunde meine wichtigsten Impulsgeber für neue Musik. Natürlich war das Radio ebenfalls sehr wichtig (zwischen ’81 und ’84 insbesondere Mal Sondocks Hitparade), aber alles, was nicht Mainstream war, lernte ich über meine Freunde kennen. Der schon erwähnte Plattenkatalog spielte dabei eine Rolle, genauso wie Plattenbörsen.
Durch Martin kam ich zu Midnight Oil, die ich zunächst nicht, später umso mehr mochte. Durch Franco lernte ich Billy Bragg kennen, der demnächst u.a. in Hamburg tourt. Mit Torsten bin ich zu einigen Konzerten gegangen, von Little Village über Jimmy Eats World bis zum Rock Werchter Festival bei Brüssel. Und bei Kai lief häufig The Damned und eben Madness.
Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und deshalb hatte ich soviel Madness um mich herum, dass ich in dieser Zeit nie ein Album gekauft und die Musik dennoch laufend gehört habe. Sie war dabei als wir keine Lust auf den Englisch-Unterricht hatten und lieber blau gemacht haben. Sie war bei den ersten Parties dabei, gehörte zu den ersten Versuchen der beiden Schülerbands in meinem Freundeskreis. Sie lief im Auto bei den ersten Ausflügen nach der Führerscheinprüfung. Und Madness hat uns auf den Klassenfahrten in die DDR und nach Ungarn begleitet. Sie lief in den spärlich möblierten Jugendherbergen während nächtlicher Saufgelage, genauso wie beim Chillen am Balaton. Dort ist eins der wenigen und vermutlich das letzte Foto meiner Schulzeit entstanden, das Kai und mich zeigt. Im Schwerin der DDR haben wir Can Can in der Jugendherberge getanzt, zwar nicht zu Madness, aber immerhin zur Ska-Version der Bad Manners.
Nach dem Abitur hat sich unser ehemals so enger Kontakt langsam aufgelöst. Die Schule als verbindendes Element verschwand zugunsten von unterschiedlichen Studienorten. Unsere Clique wurde verstreut, einige nur ein paar Dutzend Kilometer, andere weiter weg; Witten, Wuppertal, Fulda, Hawaii, Japan, Hamburg, Berlin. Kai habe ich nur noch sehr selten gesehen.
Vor ein paar Jahren ist mir beim Stöbern im Vinyl-Regal von Saturn schließlich Divine Madness in die Hände gefallen. Ein schönes Doppelalbum in 180g-Ausstattung. Vielleicht nichts für den eingefleischten Fan, weil es lediglich die bis dato erschienenen 22 Singles als Rerelease enthält, aber für mich genau das Richtige. Als ich das Album aus dem Fach nahm, erinnerte ich mich an die Zeit mit Kai. Als CD hätte ich es nicht kaufen können, es musste Vinyl sein. Schallplatten haben wir geliebt, manchmal gehegt und gepflegt, behütet wie Kostbarkeiten. Eine CD hätte mir die Erinnerung an die Zeit nicht zurückbringen können. Kai bin ich zuletzt vor zwei Jahren bei einem Abitreffen begegnet. Bereits da war seine Krankheit nicht zu übersehen. Ich war wirklich überzeugt, dass er es schaffen und beim nächsten Abitreffen in einigen Jahren wieder fit sein würde. Leider habe ich mich geirrt.
Wir haben einen Großteil unserer Jugend miteinander verbracht und hatten eine gute Zeit, wofür ich dankbar bin. Bei mir bleiben viele Erinnerungen, nicht nur, aber insbesondere wenn ich Madness höre.
Das Album erfüllt das, was man von einem Best-of erwartet. Es enthält natürlich Our House, Wings of a Dove und It must be Love und My Girl, meine Favorites. Dass ich auch heute nicht zum harten Kern der Fangemeinde gehöre und nicht jedes Lied mag, tut meiner Freude über das Album keinen Abbruch. Einige Songs fand ich damals schräg und daran hat sich nichts geändert. Bemerkenswert ist, wie gut die guten Stücke auf dem Album sind. Vordergründig einfache und eingängige Pop-Songs, offenbaren sie beim genauen Hinhören feine Arrangements mit kleinen Überraschungen. Da sind zum Beispiel die gezupften Geigen in It must be Love. Bei My Girl bleibt zuerst der eingängige Refrain im Ohr, erst danach der unaufdringliche Ska-Rythmus, der viele Madness-Songs kennzeichnet. Aber am besten gefällt mir das Saxophon, das auch für schräge Töne im Hintergrund sorgt.
So gibt es eine Reihe von herausragenden, schönen, komplexen und trotzdem hörbaren Songs. Wer – wie ich in diesen Tagen – einfach nur eine Zeitreise in die 80er machen möchte, ist mit Divine Madness bestens bedient. Vielleicht geh ich demnächst zum ersten mal zu einem Madness-Konzert. Die Band gibt es noch, einen ihrer größten Fans nicht mehr.