4. Elbinsel-Gipsy-Festival
Gestern Abend begann das 4. Elbinsel-Gipsy-Festival. Neben Lesungen am heutigen Samstag Nachmittag besteht das Festival vor allem aus Konzerten. Diese werden maßgeblich geprägt von Musikern der in Wilhelmsburg ansässigen Familie Weiss. Wie mir ein Freund der Familie einmal sagte, „nimm willkürlich fünf oder sechs Mitglieder der Familie, sag ihnen sie spielen ab jetzt zusammen und du hast ein begadnetes Musikensemble“. Höher kann man die Messlatte für den ersten Konzertabend wohl nicht legen.
Zum Auftakt spielte – wie in den vergangenen Jahren – das Café Royal Salonorchester. Unter den Musikern gibt es sogar zwei, die nicht Weiss als Nachnamen tragen, die „weder Enkel noch Zigeuner“ sind. Weshalb ich das erwähne? Weil der Ausdruck „weder Enkel noch Zigeuner“ im Booklet des ersten Café-Royal-Albums vorkommt und mir damit erlaubt von Zigeuner-Musik zu sprechen, ohne in diesem kurzen Blogartikel die lange leidvolle Geschichte des Begriffs Zigeuner zu thematisieren. Das Wort hat (hoffentlich ohne seine frühere, abwertende Konotation) überlebt, die Sinti und ihre Musik auch. Das klingt etwas nach Pathos, ist es aber keineswegs, wenn – wie gestern Abend – das Oberhaupt der Familie, Emil Weiss, zur Begrüßung auf der Bühne steht und aufgeregt und voller Lebensfreude erzählt, dass er vor über 80 Jahren hier geboren wurde und mittlerweile 63 Enkel hat.
Wer deutsche Geschichte erleben will, muss in kein Museum gehen; sie findet täglich statt. Wer erfahren will, dass multi-kulti „inzwischen“ zu Deutschland gehört, muss auf keinen Bundespräsidenten hören, sondern einfach auf die Musik aus Wilhelmsburg. Die gibt es nicht erst seit heute, sondern im Fall von Café Royal seit sieben Jahren; natürlich mit viel älteren Wurzeln.
Gegen 19.30 Uhr startete also am Freitag das 4. Gipsy-Festival im Bürgerhaus in Wilhelmsburg. Zuhörer, die erstmals das Festival besuchen und vorher wenig Berührung mit Sinti-Musik hatten, fühlen sich in eine andere Zeit oder gar in eine andere Welt versetzt. Die Musik klingt nicht wie das Chart-Einerlei der Mainstream-Radiosender. Sie klingt nicht überproduziert und glattgestrichen. Vielmehr klingt sie nach Handarbeit und Lebensfreude. Sie weckt Sehnsucht nach einem Leben, in dem einfache Dinge zählen. Fremd, in unserer „modernen“ Welt.
Fremd klingen auch die Namen der Musiker. Bei Café Royal spielten Bummel Weiss (Violine), Baro Kako Weiss (Akkordion) und Kako Weiss (Saxophon) neben Gerd Bauder (Kontrabass) und Clemens Rating (Gitarre). Ihre Musik eine Mischung aus Gipsy-Swing, Jazz und Caféhausmusik.
Im Anschluss trat Romeo Franz auf die Bühne. Sein Instrument ist die Geige. Zu spielen gelernt hat er es unter anderem als Meisterschüler von Schnuckenack Reinhardt, einem Verwandten des großen Django Reinhardt, der als Vater des Gipsy-Swing gilt. In einer unterhaltsamen Show verstanden es Romeo Franz und seine Bandmitglieder das Publikum am späteren Abend zu begeistern. Zum Repertoire gehörten einige Evergreens wie etwa Kurt Weills Mackie Messer. Als einen Höhepunkt kann man ohne falsches Lob wohl die beeindruckende Interpretation von Django Reinhardts Minor Swing bezeichnen, die Romeos elfjähriger Sohn Sunny auf der Geige spielte.
Die Darbietungen von Café Royal und Romeo Franz & Band waren ein würdiger Auftakt für das 4. Elbinsel-Gipsy-Festival, das am Samstag Abend seine musikalische Fortsetzung mit der Wawau Adler Group, dem Kako Weiss Ensemble und Melody Weiss & Band findet.